Irmi Horn, 2016
Irmi Horn liest zur 40. Internationalen Museumsnacht aus DIE ATTENTÄTERIN (Yasmina Khadra).
Yasmina Khadra (= grüne Jasminblüte), die beiden Vornamen seiner Ehefrau, verwendet der 1955 in Kenadza in Algerien geborene Mohammed Moulessehoul als Pseudonym. Der ehemalige Offizier der algerischen Armee emigrierte 2000 nach Frankreich und lebt heute mit seiner Familie in Aix-en-Provence. Er wurde in Deutschland mit seinen Kommissar-Llob Romanen bekannt. Seinen 2005 in Frankreich erschienenen und mehrfach ausgezeichneten Roman „Die Attentäterin“, der jetzt auf Deutsch erschienen ist, hat Edgar Illert gelesen.
Amin Jafaari, ein in Israel lebender Palästinenser, arbeitet als Chirurg in einem Krankenhaus in Tel Aviv. Er, der einer Beduinensippe entstammt, hat im modernen Israel Karriere gemacht. Er lebt zufrieden mit seiner Frau Sihem in bescheidenem Wohlstand im besseren, „jüdischen“ Viertel Tel Avivs. Zu seinen Freunden zählt Naaved Ronnen, ein hoher israelischer Polizeioffizier. Der überbringt ihm eines Tages die Nachricht, dass seine Frau ein Selbstmordattentat begangen habe. Fassungslos paralysiert lässt
er die brutalen Untersuchungsmethoden der israelischen Polizei über sich ergehen. Auf einmal ist er, der assimilierte Araber, wieder Außenseiter, Mörder, Terrorist.
Nachdem er seine erste ungläubige Lähmung überwunden hat, macht er sich auf die Suche nach den Ursachen, warum seine Frau, die er immer als eine mit ihrem Leben zufriedene moderne Frau empfunden hatte, eine solche, in seinen Augen religiös-wahnhafte Terrortat begangen hat. Begleitet
wird er bei seiner Spurensuche von seiner Kollegin und einer seiner ältesten Freundinnen Kim Yehuda.
Jafaari versucht den letzten Weg seiner Frau zurückzuverfolgen. Die Spur führt ihn zunächst nach Bethlehem und dann weiter nach Dschenin, einem Zentrum des palästinensischen Widerstandes. Er, der von seinen palästinensischen Landsleuten fast wie ein Verräter behandelt wird, muss verstört
zur Kenntnis nehmen, dass dieselben Leute mit dem höchsten Respekt von seiner Frau und ihrer Tat sprechen.
Nach und nach muss der Chirurg erkennen, dass das, was er zunächst leichtfertig als fanatisch-religiöse Verblendung abzutun bereit war, ihm immer mehr seine real-massiven ökonomischen Ursachen offenbart. So wird seine Suche nach den Ursachen für die Tat seiner Frau immer mehr zur
Reise zurück zu den eigenen Wurzeln, die schließlich in einem Besuch der eigenen Sippe mündet. Stolz empfängt ihn das Oberhaupt der Sippe, der greise Patriarch Omr, doch bei den jüngeren Sippenmitgliedern muss Jafaari eine seltsame Unruhe erkennen.
Als ein Sippenmitglied ein weiteres Selbstmordattentat begeht, reagiert der Staat Israel mit seiner ganzen Härte: Er lässt das komplette Dorf mit Bulldozern dem Erdboden gleichmachen. Jafaari muss ohnmächtig der staatlichen Gewalt zusehen und erhält auf seine Empörung die scheinbar fatalis-
tische Reaktion seiner Nichte Faten: „Was ist schon ein Haus, wenn man ein ganzes Land verloren hat.“
Eben diese Faten macht sich am nächsten Morgen nach Dschenin auf, um sich von Imam Marwan auf ein weiteres Selbstmordattentat „einstimmen“ zu lassen. Jafaari versucht dies zu verhindern, wird aber in Dschenin vor der Moschee Opfer einer israelischen Rakete, die neben vielen anderen
Muslimen auch den Imam tötet.
Yasmin Khadra ist kein Freund von einfachen Lösungen. Und er ist weder ein Parteigänger des staatlichen Terrors Israels noch des individuellen Terrors der Palästinenser. Er ist ein Propagandist für das Leben und hier ein Weggefährte seines Ich-Erzählers Amin Jafaari, der nicht müde wird, gegenüber Israelis und Palästinensern zu betonen, dass er Arzt wurde, um Leben zu retten, nicht um welches zu zerstören. Dass dies in der derzeitigen Lage im Nahen Osten keine Frage einer Patentlösung ist, liegt auf der Hand.
Khadra zeigt Ursachen für die Ängste und den Hass auf beiden Seiten auf, auf der israelischen sowie der palästinensischen. Und dies ist ein Grund, warum man „Die Attentäterin“ unbedingt lesen sollte. Dieser Roman gibt uns tiefere Einblicke in die Nahost-Problematik als Hunderte von FernsehDokumentationen und Features. Ein weiterer Grund ist die Sprache des Autors.
Der Mann ist ein Poet, tief verwurzelt in der mündlichen Erzähltradition seines Volkes. Und dass von dieser Kunst bei der Übertragung ins Deutsche wohl nicht allzu viel verloren ging, ist das Verdienst der Übersetzerin.
Und das kann man in einer Zeit des Sich-rechnen-Müssens und der literarischen
Schnellschüsse nicht hoch genug einschätzen.
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