Gemälde von Henryk Siemiradzki, 1876
Das Thema dieses Museumstags ist SPURENSUCHE.
kunstGarten will sich an diesem Tag den Völkerwanderungen zuwenden, Wissenswertes über die Wanderungen der Menschheit, ihre Ursachen und Auswirkungen vermitteln.
18:00 Begrüßung und geschichtlicher Rückblick – Irmi Horn
18:40 Impulsreferat: DOZ.in DR.in PHIL. Monika Mokre, Kulturwissenschafterin
Diskussion
19:30 Heinz Trenczak zum Film
ca  19:45 DokFilm SILOS TRIESTE, Heinz Trenczak, A 2016
Auszug aus Wolfgang Büscher, Welt DE:
Flüchtlinge handeln aus individuellen Gründen Die heute in Asien und Afrika losziehen, tun es jeder für sich, allenfalls in Kleingruppen. In der Spätantike zog niemand allein nach Rom, es sei denn, er wurde als Garantiegeisel eines Bündnisvertrags mitgeliefert. Der individuelle Flüchtling unserer Tage flieht aus seinen individuellen Gründen. Dem einen trachtet der IS nach dem Leben, weil er Christ ist, Jeside oder der falsche Muslim; hinter dem anderen ist Assads Geheimdienst her oder das Terrorregime in Eritrea. Oder er hat es satt, jung und absolut perspektivlos in einem nahöstlichen Flüchtlingslager zu sitzen. Oder seine Familie in Ghana hat das Geld für seine Flucht zusammengelegt und erwartet von ihm die Fluchtrendite. Oder ein islamistischer Kämpfer gönnt sich eine Kampfpause in Bonn. Oder junge Albaner einen Sommer in Berlin. All das gibt es und noch viel mehr. Der moderne Flüchtling ist eine Figur der globalisierten Welt. Nicht nur Informationen, Geld und Waren zirkulieren schneller denn je, auch Bilder und Illusionen. Und Menschen, die nichts zu verlieren haben als ihre letzte Hoffnung. Auch die Römer brachten ihrer Welt eine Globalisierung. Auch sie schufen einen Riesenraum, in dem Waren, Sehnsüchte, Begierden zirkulierten. Nicht nur schiere Not ließ germanische Völker ausschwärmen, sie schwärmten auch vom Glanz des Imperiums. Was welchen Anteil hatte, ist schwer zu sagen, die historischen Quellen geben es nicht klar genug her. Aber dass beides im Spiel war, steht fest. Was heute YouTube bietet, den Live-Blick vom ärmsten Ende der Welt in deren reichste Zonen, das boten damals Berichte gotischer oder vandalischer Offiziere, die in Roms Armeen gedient hatten und ihren staunenden Verwandten von der Pracht Italiens oder der Fruchtbarkeit Nordafrikas erzählten. Im Zuge einer Palastintrige sandte eine römische Prinzessin einem Hunnenfürsten eine Auswahl italienischer Früchte, um ihn und sein Heer zum Kommen zu reizen und zum Einsatz gegen ihre Feinde. Gallien war die „mixed zone“ beider Welten. Hier lebten Franken und Römer nebeneinander. Als nach allerhand Kriegen mit den von Osten her eindringenden Burgundern auch diese in Gallien einquartiert wurden und Römer das Land mit ihnen teilen mussten, seufzte ein stolzer Römer namens Sidonius Apollinaris sein Leiden an den Barbaren in ein Gedicht: „Nun bin ich zwar gesund, allein wie kannst Du / Heitren Liebesgesang von mir verlangen, der ich / Des langhaarigen Volkes Tischgenosse, / Hab germanische Worte auszuhalten, / Muss auch wieder und wieder ernsthaft, was da / Der burgundische Vielfraß vorsingt, loben, / Der mit ranziger Butter sich den Kopf salbt.“ Derselbe Unflat, der dem armen Römer „Früh am Morgen schon zehn Portionen Knoblauch / Und elende Zwiebel rülpst entgegen.“ Multikulti Anno Domini 460. Fluchten, wie wir sie früher kannten, das waren zum Beispiel die „Boat People“. Sie retteten sich vor dem Terror im 1975 kommunistisch vereinten Vietnam übers Meer. Oder die Polen. Unter dem Kriegsrecht der 80er-Jahre flohen viele hierher. Und in den Balkankriegen der 90er-Jahre kamen eben Menschen aus der Kriegsregion. Jede dieser Fluchten war räumlich und zeitlich begrenzt, war machbar für uns, und besserte sich die Lage daheim, gingen ja auch etliche wieder zurück. Diese Flucht jetzt scheint entgrenzt, sie hat nichts Lokales, Berechenbares, Endliches mehr – eine Weltflucht. Albanien, Syrien, Irak, Somalia, Südsudan, Mali, fast egal von wo, in Scharen brechen die Leute auf, als liefe ein Losungswort durch die scheiternden Staaten und Chaoszonen der Erde: Nach Europa! Und je mehr dieser Losung folgen, desto mehr tun es ihnen gleich. Eine hochinfektiöse Hoffnung ist dieses reiche, weiche Europa. Und eine hochorganisierte: Verdient man heute als Drogenbaron mehr oder als Schleuserkönig? Das ist mittlerweile eine berechtigte Frage.
Studium der Politikwissenschaft und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Seit 1991 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, zuletzt am Institut für europäische Integrationsforschung. Seit 2009 Mitarbeiterin des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW, Lehraufträge am Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft der Universität für Musik und darstellende Kunst und an der Webster University Vienna. Mitglied der Stipendienkommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, stv. Vorsitzende des Fachbeirats für kulturelle Vielfalt bei der Österreichischen UNESCO-Kommission, Mitglied des Fachbeirats „Kulturpool“ des BMUKK, Vorsitzende von eipcp, european institute for progressive cultural policies, Vorstandsmitglied von Mediacult, Internationales Forschungsinstitut für Medien, Kommunikation und kulturelle Entwickung, sowie von FOKUS, Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische Studien.
DokFilm SILOS TRIESTE, Heinz Trenczak, A 2016.
SILOS TRIESTE
Dokumentarfilm von Heinz Trenczak
Zwischen 7. und 12. Dezember 2015 waren Jenny Chapman und Andreas Polegeg aus Graz mit Andis großem, altem Wohnmobil, dem Camper, in Triest, um den in den zentralen Silos gestrandeten Schutzsuchenden (geschätzt: 150 bis 200 Männer) zu helfen – mit warmer Kleidung, mit festem Schuhwerk, mit Nahrung, mit Zuwendung und mit dem Wunsch, diesen damals nahezu unbekannten Ort und die „Wohnverhältnisse“ dort zu dokumentieren.
Kennen gelernt hatte ich Andreas und Jenny bereits im September 2015, als beide, zunächst noch unabhängig voneinander, im Protestcamp am Grazer Paulustor geholfen haben. Er mit Wohnmobil und Organisationstalent. Sie mit rollendem Essen und Zuwendung. Vier Wochen lang, immer wieder. Zwischen Andi und Jenny funkte es. Sie wurden ein Paar.
Wenig später kam der Plan auf, zusammen nach Triest zu fahren. Zu dritt. Dass nicht ich die beiden fragte, ob ich mitfahren dürfe, sondern sie mich dazu aufforderten, sie mit Kamera und Mikro zu begleiten, zeugt von dem mir entgegengebrachten Vertrauen; und die persönliche Nähe – Tag und Nacht zusammen im Camper – trug das ihre zur Schaffung einer Atmosphäre bei, in der unverstellte dokumentarische Dreharbeiten möglich wurden.
Von spät nachts bis in den Vormittag hinein stand der Camper am Parkplatz des Yachthafens von Triest. Gratis. Ist zwar verboten, aber beschwert hat sich nur einmal jemand. – Welch ein Gegensatz: Tagsüber in den riesig langen, seitlich teilweise offenen, zugigen Hallen der Silos, in denen die Flüchtlinge sich notdürftigste Verschläge aus Pappendeckel, Decken und Absperrgittern gebaut hatten – ohne Licht, ohne Wasser, ohne Heizung. Und nachts und am Morgen neben den schaukelnden Segelyachten, vis-à -vis vom Fischkutter, unter kreischenden Möwen, zwischen Spaziergängern, Hunden und Jenny, die völlig konzentriert ihre täglichen Yogaübungen absolvierte.
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A 2016 | Video HD | Farbe | 47 Minuten
Kamera, Regie, Produktion: Heinz Trenczak
Schnitt, Farbkorrektur, Mix: Christoph Schmid
Eine Produktion der Vis-à -vis Film © 2016