Literatur/Performance

GEGEN DAS VERGESSEN: Maria Lazar & Film

Gewaltexzesse gegen Jüdinnen und Juden in der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 Foto: wikimediacommon

Die Novemberpogrome 1938  waren ein Zeichen der Entmenschlichung. Die Erinnerungskultur soll uns aufrütteln und gegen Hass und Verfolgung wirken.

Irmi Horn liest aus GEDANKENSTRAHLEN.

Maria Lazar: Gedankenstrahlen / Erzählungen & Short Stories, 2026 – DVB Verlag

In ihren eigenwilligen, schwarzhumorigen Narrativen zeigt sich Lazar als scharfsinnige Beobachterin der menschlichen Seele. Mit prophetischer Klarheit beleuchtet sie gesellschaftliche Zwänge, politische Umbrüche und die inneren Kämpfe ihrer Figuren. Ihre Protagonistinnen und Protagonisten kämpfen um Selbstbestimmung, stellen sich den Schattenseiten des Lebens und brechen immer wieder aus den Konventionen ihrer Zeit aus. Mit ihrer prägnanten, unverstellten Sprache und ihrem tiefen psychologischen Verständnis für die Abgründe des menschlichen Daseins zieht Lazar ihren „unbekannten Leser“ in ein bislang noch unbekanntes Kaleidoskop voller Begegnungen, Widersprüche, Sehnsüchte, Grenzgänge und unerhörter Erfahrungen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs.

Maria Lazar 1945

Maria Lazar, 1895 geboren, entstammte einer großbürgerlichen jüdischen Wiener Familie. Sie absolvierte das berühmte Mädchengymnasium der Kugenia Schwarzwald, in deren Salon Oskar Kokoschka sie 1916 porträtierte und in dem sie mit zahlreichen prominenten Figuren der damaligen Wiener Kulturszene zusammentraf. Als engagierte Publizistin schrieb sie seit den frühen Zwanzigerjahren für renommierte Wiener Blätter und Schweizer Zeitungen. Als sie 1930 zum „nordischen“ Pseudonym Esther Gronen greift, stellt sich literarischer Ruhm ein; ein Erfolg, der allerdings durch Hitlers Machtergreifung ein Ende findet. Aufgrund des repressiven Klimas verlässt sie schon 1933 mit ihrer Tochter Österreich und geht zuerst, gemeinsam mit der Familie Bert Brechts, ins Exil nach Dänemark. 1939 flüchtet sie nach Schweden und scheidet 1948 nach einer langwierigen, unheilbaren Krankheit freiwillig aus dem Leben.

THEMEN MAGAZIN
Maria Lazar, 17.9.2024
Ein Essay von Maria Lazar aus dem Jahr 1945

„Was ist österreichische Kultur?“

Die österreichische Schriftstellerin Maria Lazar, deren Werk seit einigen Jahren wiederentdeckt wird, schrieb 1945 diesen Text zur „Stunde Null“ im schwedischen Exil. Er erschien in der Zeitschrift „Samtid och Framtid“ auf Schwedisch, hier wird er nun erstmals im deutschen Original publiziert – mit freundlicher Genehmigung des Verlags Das vergessene Buch.

Was ist österreichische Kultur?

Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Denn was versteht man heute unter Österreich?

Das Rudiment eines Imperiums, die kleine Republik, die in zwanzig Jahren zwischen zwei Weltkriegen ein eigenes Leben zu führen versuchte? Oder dieses Imperium selbst, das in mehreren Jahrhunderten mitbestimmend für die europäische Entwicklung gewesen war? Oder das neue, künftige Österreich, dessen Unabhängigkeit nach einer Periode schmachvoller Barbarei erst erkämpft werden muss?

Bei keinem der okkupierten Länder wird man, wenn man von seiner Kultur sprechen will, solche Fragen stellen. So gibt es zum Beispiel eine dänische oder holländische Kultur, weil es eine dänische oder holländische Nation gibt. Nation, wohlbemerkt, in jenem Sinn, in dem das Wort 1789 von der französischen Nationalversammlung gebraucht wurde. Damals bedeutete es nichts anderes als die Gemeinschaft aller in einem Lande wohnenden Menschen, die einander durch dieselbe Sprache, dieselbe Tradition, dasselbe historische Schicksal verbunden sind. Seither wurde Missbrauch mit dem Wort getrieben, so viel Missbrauch, dass man sich heute kaum getrauen kann, von einer österreichischen Nation zu sprechen. Denn was in Österreich „national“ war, das waren dieselben Leute, die heute mehr oder weniger nazistisch sind. Eine österreichische Nation – das gibt es doch gar nicht.

Aber eine österreichische Kultur? Ja, die gibt es, daran kann niemand zweifeln. Wer sich nach ihr erkundigt, muss allerdings auf sehr verschiedene Antworten gefasst sein. Zur österreichischen Kultur rechnet man Schuberts Unvollendete und das Drama von Mayerling, den Stefansdom und den Heurigen, die Philharmoniker und das süße Mädel, Freud und Lehar, die tiefsten Gedanken und den rosigsten Kitsch der Welt. Die Begriffe dieser Welt sind, was Österreich, seine Kultur, seine Geschichte betrifft, nicht nur verworren, sie sind gefälscht. Da gibt es Leute, auch ganz gebildete, für die Österreich einfach ein selbstverständlicher Teil des Deutschen Reiches ist, wegen der Sprache, der Abstammung seiner Bewohner, ihrer sogenannten Rasse usw. Und wieder andere, für die Österreich ein armes, unschuldiges kleines Land ist, das vom bösen großen Nachbarn tückisch überfallen und unterworfen wurde, ohne selbst jemals auch nur einen eigenen Nazi hervorgebracht zu haben. Womit lässt sich dieser unglaubliche Mangel an historischen Kenntnissen erklären? Mit dem betäubenden Tempo der Weltereignisse in letzter Zeit, mit verschiedentlichen falschen Mythen, die mehr oder weniger bewusst propagandistisch ausgesponnen werden? … https://magazin.wienmuseum.at/ein-essay-von-maria-lazar-aus-dem-jahr-1945

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