Brigitte Franzen:
Das „verlorene Paradies“ als Heterotopie

Aus THE GARDENS OF VLADIMIR SITTA (Tempe Macgowan)

Aus THE GARDENS OF VLADIMIR SITTA (Tempe Macgowan)

Michel Foucault definiert in seinem vielzitierten Vortrag „Andere Räume“ den Garten als Heterotopie. Mit diesem Begriff belegt er „wirkliche Orte“ im Sinne tatsächlich realisierter Utopien. Heterotopien seien dazu in der Lage „an einem einzigen Ort mehrere Räume, mehrere Platzierungen zusammenzulegen, die an sich unvereinbar sind. Und zwar auf eine Weise, dass sie die von diesen bezeichneten und reflektierenden Verhältnissen suspendieren, neutralisieren oder umkehren.

Neben psychiatrischen Kiniken, Erholungsheimen, Friedhöfen, Theatern, Kinos, Museen und Bibliotheken, Bordellen, Kolonien und Schiffen, die alle ihre besonderen heterotopischen Charakteristika aufweisen, ist gerade der Garten führ ihn die „vielleicht (…) älteste dieser Heterotopien mit widersprüchlichen Platzierungen“. Er beschreibt den persischen Garten als geheiligten Raum, dessen Vierteilung die vier Weltteile und dessen heiliger Zentralraum den Nabel der Welt repräsentierten.

Foucault referiert die Reproduktion und Mobilisierung eines solchen Gartens in persischen Teppichen. Diese Transformation zeigt seiner Ansicht nach, dass der Garten sowohl „die kleinste Parzelle“ als auch „die Totalität der Welt“ ist. Daher bezeichnet er den Garten als eine „seelige und universalisierende Heterotopie“.

Bagh-e Eram, Schiras

Bagh-e Eram, Schiras

Japanese Gardens at the Chicago Botanic Garden (Elizabeth Hubert Malott)

Japanese Gardens at the Chicago Botanic Garden (Elizabeth Hubert Malott)

Foucault orientiert sich bei dieser Definition an einem Bild vom Garten das aus dem islamischen, wie auch dem christlich-jüdischen Ursprungsprinzip des Paradieses oder Gartens Eden nahesteht. Dort ist die Menschwerdung untrennbar mit dem von Gott zugewiesenen Aufenthaltsort des Menschen, nämlich dem paradiesischen Garten verbunden. Solange es nicht zum „Sündenfall“ kommt, exisitiert kein menschlicher Ort außerhalb diesesOrtes. Ortes. Gleichzeitig vereint das Paradies alle potentiellen Orte in sich. Nicht einmal die Frage nach dem „Draußen“ besteht. (…)

Das Labyrinth im Parc del Laberint d’Horta in Barcelona, Katalonien (Spanien), Foto Till F. Teenck

Das Labyrinth im Parc del Laberint d’Horta in Barcelona, Katalonien (Spanien), Foto Till F. Teenck

Heian-jingu shinen (Heian Shrine garden), Kyoto, Japan

Heian-jingu shinen (Heian Shrine garden), Kyoto, Japan

Erst der Genuss der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis verändert, ja verdreht die Wahrnehmung – die Menschen erkennen sich selbst als nackt und erkennen und erleben schmerzlich die Grenze, die da Paradies vom „Außen“, von der zweiten Natur des Ackerlandes, trennt. Damit wird die Ãœberlebensnotwendigkeit erklärt, dieses Land zu kultivieren und eine Paradies-Ähnlichkeit, die von vornherin unerreichbar bleibt, zumindest anzustreben.

Sunnylands (Annenberg Gardens), Palm Springs California, Architekt: James Burnett, Foto Cindy Knoke

Sunnylands (Annenberg Gardens), Palm Springs California, Architekt: James Burnett, Foto Cindy Knoke

Der Garten ist der gedachte Sehnsuchtsort, an den zurückzukehren unerfüllbarer Wunsch bleibt. Gärten sind in diesem Zusammenhang Orte des Zwischen, Simulationsräume für paradisische Zustände, die hart erkämpft und der Natur abgerungen sind, diese Arbeit aber keinesfalls ausstrahlen dürfen. In der künstlerischen wie auch der kunsthistorischen Gartenrezeption bleibt folgerichtig der praktische Gärtner zugunsten des „Schöpfers“ oft unsichtbar.

In: Brigite Franzen: Die vierte Natur. Gärten in der zeitgenössischen Kunst. Köln: König 2000.

Der Garten als Sehnsuchtsort findet auch seine Darstellung als Teppich.

Garten-Teppich, Nordwestpersien, 16. Jahrhundert (Galerie Battenberg)

Garten-Teppich, Nordwestpersien, 16. Jahrhundert (Galerie Battenberg)

Ersari Engsi (Turkmenischer Teppich)

Ersari Engsi (Turkmenischer Teppich)

Etymologien

Garten

Garten (vermutlich aus got. gards, garda >Gerten<), ursprünglich das durch Zäune aus Gerten vor der umgebenden Wildnis eingehegte und bestellte Land. Durch Zäune, Gräben oder Mauern werden (Nutz-) Tiere und Angepflanztes ebenso wie die (sesshaften) Menschen selbst vor Gefahren von außen geschützt. Mehr oder weniger künstlerisch oder aufwendig gestaltet ist der G. immer ein vom Menschen künstlich angelegtes und der Pflege bedürftiges Landstück, das durch die Gestaltung ebenso wie durch die Einfassung von der es umgebenden „natürlichen“ Landschaft abgegrenzt wird.

Botanischer Garten Graz, Altes Gewächshaus ,1870

Botanischer Garten Graz, Altes Gewächshaus ,1870

(Bildnachweis: Copyright Martha Schwartz)

Paradies

Xenophon (434-355 v. Chr.) bezeichnete mit „Paradeisos“ die persischen Königsgärten.
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist das P. als neutestamentliches Synonym für den Garten Eden, das >Urbild< für den schönsten aller Gärten, in dem das erste Menshenpaar bis zum Sündenfall lebte. (…)
In der Apokalypse: P. das Jenseits als Ort der Seligen (…)
In der bildenden Kunst: Gartenlandschaft mit einem Ãœberfluss an Wasser (vier P.-Flüsse und Nahrung (Lebensbaum) (…)

Lukas Cranach d. Ä. Das Paradies, 1530

Lukas Cranach d. Ä. Das Paradies, 1530

Quellen:
Uerscheln, Kalusok: Wörterbuch der europäischen Gartenkunst,Reclam 2001/2003
Wilhelm Gemoll: Griechisch Deutsches Schul- und Handwörterbuch, Hölder-Pichler-Tempsky, 1936.